Interview

Nachhaltig kommunizieren!

Zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 16. Mai 2024

Das Thema „nachhaltige Entwicklung“ im Gesundheitswesen ist so facettenreich wie viel diskutiert. Im Fokus stehen häufig Themen wie Energiesparen, Müllvermeiden und Kostensenken. „Wenn wir die Versorgung der Patientinnen und Patienten nachhaltiger gestalten wollen, müssen wir auch besser kommunizieren!“ Diesem Ansatz gehen wir mit Dr. Susanne Engelbrecht-Schnür vom Netzwerk Nachhaltigkeit der DRG nach.

Frau Dr. Engelbrecht-Schnür, Sie engagieren sich im Netzwerk Nachhaltigkeit der DRG. Was treibt Sie an?

Nachhaltigkeit ist für mich kein Trend, sondern seit Jahrzehnten ein Anliegen. Daher war ich erfreut, dass sich bei der DRG das Netzwerk Nachhaltigkeit gebildet hat, in das ich mich gerne einbringe. Zusammen organisieren wird z.B. Vorträge zu Nachhaltigkeitsthemen beim RÖKO DIGITAL und auch beim RÖKO WIESBADEN. Dabei legen wir das Augenmerk nicht nur auf die klassischen reduktionsorientierten Nachhaltigkeitsthemen, wie Energie sparen und Müll vermeiden. In Kooperation mit der AGIT werden wir zum Beispiel auch Vorträge zum Thema „nachhaltige Kommunikation“ anbieten. Das hat für mich viel miteinander zu tun, also Nachhaltigkeit und Kommunikation, weil ich der Ansicht bin und die Erfahrung gemacht habe, dass wir sehr viel klarer kommunizieren müssen in der Radiologie.

Würden Sie das bitte erklären?

Beginnen wir mit den ärztlichen Kolleginnen und Kollegen: Beim Verfassen von Befunden ist nicht garantiert, dass wir uns untereinander verstehen, zumindest ist das meine Erfahrung. Was geschieht dann? Wer einen Befund nicht vollständig versteht, veranlasst  möglicherweise weitere Untersuchungen oder unnötige Follow-ups. Die Unsicherheit kann die Arzt-Patienten Beziehung belasten und bietet zumindest das Potential für einen vicious circle.

Es gibt viele unnötige Untersuchungen, nur weil ich möglicherweise unklar formuliert habe oder nicht deutlich gemacht habe, dass weitere Untersuchungen nicht erforderlich sind.

Orientiert sich die Wortwahl bei der Befundung nicht an einem Standard, einem Glossar?

In der deutschsprachigen Radiologie werden nur wenige  Glossarien routinemäßig verwendet. Es gibt z.B. das „Glossar thoraxradiologischer Begriffe entsprechend der Terminologie der Fleischner Society“, das internationale „Glossary of terms for musculoskeletal radiology“ und eine deutschsprachige Adaptation des durch die RSNA herausgegebenen RadLex, eine laut DRG kontrollierte Terminologie, die qualitätsgesichert und seit 2017 offiziell zugänglich ist. Allerdings ohne flächendeckende Umsetzung/Akzeptanz, zu  oft verlassen wir uns in unseren narrativen Befunden auf prosaische Beschreibungen. Dies ist bereits ein Grund dafür, dass selbst unter radiologischen Kolleginnen und Kollegen, die Deutsch als Muttersprache sprechen, möglicherweise Missverständnisse auftreten. Und für Nichtmuttersprachler wird es noch schwieriger.
Uns fehlen die Möglichkeiten für eine einfache eins-zu-eins-Übersetzung von Befunden. Die ideale Lösung wäre, dass wir konsequent mit einer Terminologie arbeiten und strukturiert befunden.  Das ermöglicht, dass der Befund zunächst z.B. auf Englisch verfasst wird und dann ins z.B. Polnische, ins Deutsche oder in eine andere Sprache übersetzt wird. Dies wäre besonders wünschenswert, auch angesichts unserer derzeitigen Personalsituation.

Denken Sie, dass sich strukturierte Befundung durchsetzen wird, oder sind digitale Formulare in verschiedenen Sprachen mit einer klaren Struktur sinnvoller?

In der onko-radiologischen Diagnostik  werden dedizierte Vorlagen seit Jahren angeboten und angewendet. Natürlich gibt es mittlerweile auch für alle anderen radiologischen Teilgebiete und Modalitäten  strukturierte Befundvorlagen, vorwiegend mit Templatecharakter, sowie mittlerweile auch Software zur Erstellung radiologischer Befunde. Die digitale Bearbeitung ist eine Grundvoraussetzung, egal ob ich ein Template oder eine anderes Befundungstool verwende. Die Akzeptanz seitens der fachärztlichen Kolleginnen und Kollegen würde ich eher als verhalten bezeichnen. Die traditionellen Templates werden kritisiert, weil sie wenig Flexibilität für Nebenbefunde bieten und bei komplexen Fällen unzureichend sind. Neuere Ansätze wie z.B. das Guided reporting werden u.a. aufgrund ihrer ungewohnten Struktur und des einfachen Textformats möglicherweise als disruptiv empfunden. Insbesondere erfahrene Radiologinnen und Radiologen bevorzugen oft ihre etablierten Kommunikationsmethoden und befürchten, dass die Verwendung solcher Tools ihre Kommunikation mit Zuweisern beeinträchtigen könnte. Es gibt noch keine Patentrezepte für diese Herausforderungen.

Ein Blick in die Zukunft: Was wäre aus Ihrer Sicht eine mögliche Entwicklung für die strukturierte Befundung?

Da ich keine Expertise in IT habe, kann ich lediglich eine Vision vorstellen. Es wäre ideal, wenn eine KI meinen Text analysiert und ihn in strukturierte Daten umwandelt, die als Befunde genutzt werden können. Die Weiterentwicklung dieser Technologie könnte eine Lösung bieten, erfordert jedoch eine vermutlich ebenfalls eine gewisse Standardisierung der Sprache, womit wir wieder beim Thema Glossar sind.

Mein Anliegen ist, dass zunächst alle verstehen, was strukturierte Befundung bedeutet. Es geht nicht nur darum, eine Checkliste abzuarbeiten oder einen Standardbefund zu erstellen. Der radiologische Befundbericht sollte vollständig, reproduzierbar und   maschinenlesbar sein.

Wir sollten innerhalb unserer Generation und für zukünftige Generationen verantwortlich mit allen Ressourcen – auch Papier, Druckmaterialien und Speicherplatz umgehen. Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur Selbstbeschränkung und Reduktion, sondern vor allem intelligente Adaptation. Deshalb sollten wir uns langfristig von freien Texten verabschieden. Doch aufgrund der starken Bindung an unser narratives Befundungsformat wird die Transformation herausfordernd sein. Wir benötigen entweder eine radikale Lösung oder müssen den Weg einschlagen, den ich als Vision betrachte: die Analyse unserer Sprache, um sie in einen digitalen Befund zu übersetzen.

Sehr geehrte Frau Dr. Engelbrecht-Schnür, haben sie Dank für das Gespräch.

Zur Person

 

Dr. med. Susanne Engelbrecht-Schnür hat bis zum Vordiplom Chemie an der Universität in Münster studiert und ist dann zum Medizinstudium nach Erlangen gegangen. Nach dem Studium arbeitete sie mehrere Jahre im Institut für Anatomie I und II der FAU. Nach einer familiär bedingten Pause wurde sie Radiologin, absolvierte ihre Facharztausbildung in einem großen MVZ in Niedersachsen und zog dann nach Brandenburg. Dort arbeitete sie in der Poliklinik des Ernst von Bergmann Klinikums und war an dem Projekt “ Mobiles MRT für Brandenburg!“ beteiligt.  Diese Tätigkeit hat sie im November beendet und arbeitet seitdem ausschließlich in hybrider Tätigkeit in Luckenwalde im KMG Klinikum und im MVZ. Von 2020 bis 2022 hat sie als angestellte Radiologin an der Entwicklung einer radiologischen Befundungssoftware mitgearbeitet.