Die Deutsche Röntgengesellschaft e. V. (DRG) möchte das Thema Nachhaltigkeit stärker in der Radiologie und in der Fachgesellschaft selbst verankern. Dafür hat sie im Jahr 2021 die Kommission Nachhaltigkeit@DRG* ins Leben gerufen. Die Kommission hat schon einiges bewegt, etwa einen Zehn-Punkte-Plan innerhalb der Fachgesellschaft verabschiedet. Welche Aufgaben, Fragestellungen aber auch Lösungsansätze sie sonst noch sieht, darüber haben wir in der vierten Folge des Jubiläumspodcasts „100 Jahre RöFo& DRG“ mit Professor Dr. med. Andreas G. Schreyer, Gründungsmitglied der Kommission und Direktor und Chefarzt des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Brandenburg an der Havel, und Dr. Viktoria Palm, einem weiteren Mitglied der Kommission Nachhaltigkeit, gesprochen. Dr. Palm ist Assistenzärztin an der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Heidelberg. Außerdem ist sie aktives Mitglied im Forum Junge Radiologie der DRG. Lesen Sie hier einen Ausschnitt aus dem Gespräch. Das Gespräch führte Dr. Adelheid Liebendörfer von Thieme Communications. Wir danken Frau Dr. Liebendörfer und Thieme Communications für die Erlaubnis, dieses Interview nutzen zu dürfen.
Wenn es nach dem Willen der Bundesregierung geht, soll Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral sein. Der Gesundheitssektor gehört zu den Branchen mit dem größten Ressourcenverbrauch. Je nach Quelle ist er für die Produktion von 4,4 bis 5,2 Prozent der globalen Treibhausgase verantwortlich. Die von ihm produzierten Emissionen liegen über denen von Flugverkehr und Schifffahrt. Wenn wir auf die Radiologie schauen: Welchen Stellenwert hat sie beim Energieverbrauch im Gesundheitswesen und wodurch treibt sie ihn so hoch?
Dr. Palm: Tatsächlich trägt die Radiologie mit ihren Großgeräten einen signifikanten Anteil am Energieverbrauch im Gesundheitswesen. In den circa 800 radiologischen Fachabteilungen in rund 2200 Kliniken sowie etwa 1000 Praxen waren im Jahr 2016 rund 2800 CTs und 2800 MRTs im Einsatz. Die Zahlen waren damals schon steigend, sodass man jetzt von etwa 3000 Geräten je Modalität ausgehen kann. Damit ist Deutschland tatsächlich europaweit führend. Schon 2016 hatten wir die höchste Gerätedichte mit ungefähr 34,5 MRTs pro eine Million Einwohner. Korrespondierend dazu waren wir auch weltweit führend mit circa 211 Bildgebungen je 1000 Einwohner jährlich. Dies verteilte sich auf 60 Prozent CT-Untersuchungen und 40 Prozent MRT-Einsatz. Und dieser steigende Trend hat sich weiter fortgesetzt. Privatdozent Dr. med. Tobias Heye (Anmerk. d. Redaktion: Leitender Arzt, Leitung Informationstechnologie, stellvertretende Leitung abdominelle und onkologische Diagnostik am Universitätsspital Basel), einer der führenden Forschenden in diesem Bereich, hat sich mit dem Energieverbrauch der Großgeräte beschäftigt. Er konnte zeigen, dass ein CT pro Jahr circa 26 000 Kilowattstunden verbraucht und ein MRT 134 000 Kilowattstunden. Das heißt, ein CT und ein MRT zusammen verbrauchen so viel wie 31 Vier-Personen-Haushalte im Jahr. Zu den Großgeräten kommen noch kleinere ressourcenverbrauchende Faktoren wie unsere PACS-Systeme, Klimaanlagen, Licht, Verpackungsmaterialien und so weiter hinzu.
Professor Andreas G. Schreyer ©Universitätsklinikum Brandenburg a.d. HavelSie haben im letzten Jahr innerhalb Ihrer Fachgesellschaft die Kommission Nachhaltigkeit gegründet. Was waren die Gründe dafür und welche Ziele hat diese Kommission Nachhaltigkeit innerhalb der DRG?
Prof. Schreyer: Wir sind aus einem kleinen Kreis von zunächst 4/5 Leuten entstanden, die das große Ziel der Nachhaltigkeit vereinte. Natürlich lag unser erster Fokus auf Geräten und der Gebäudetechnik. Wir haben aber schnell gemerkt, dass wir alle 3 Säulen der Nachhaltigkeit in den Blick nehmen wollen: die Ökonomie, die Ökologie und die soziale Verantwortung, die wir haben. Ähnlich wie beim Klimawandel haben wir es mit einem unglaublich komplexen System zu tun, das ineinandergreift.
Wir sind dann sehr schnell konkret geworden, etwa mit unserem Zehn-Punkte-Plan für mehr Nachhaltigkeit in der Radiologie. Darüber hinaus haben wir entsprechende Themen auf dem 103. Deutschen Röntgenkongress 2022 auf die Agenda gesetzt.
Unsere Motivation ist, Nachhaltigkeit ernst zu nehmen und sie mit konkreten Aktionen voranzubringen. Und zwar in allen ihren Aspekten. Wir wollen quasi der Stachel, die Motivation für dieses Thema in der DRG sein. Wir müssen hier Kommunikatoren sein – und im Zweifel kritisch Untersuchungen einschränken beziehungsweise Untersuchungen auch empfehlen. Das ist auch unser Job.
Ein Beispiel aus meinem Alltag: Ich habe gerade ein Großgerät für meine Klinik gekauft. Da musste ich feststellen, dass es keinerlei Orientierungspunkte für den Ressourcenverbrauch gibt, etwa ein Energieverbrauchslabel wie bei Kühlschränken. Aber es geht nicht nur um den Stromverbrauch, sondern auch um Fragen der Herstellung: Wie ist es mit seltenen Erden, mit Materialien, mit Nachhaltigkeit im Abbau? Handelt es sich um ein Helium-freies Gerät etc.? Wir brauchen hier Labels.
Dr. Viktoria Palm © DRG / Thomas RafalzykDr. Palm: Ich kann Ihnen nur beipflichten. Wir haben festgestellt, dass es an Lösungsansätzen für eine klimaneutrale Radiologie mangelt. Doch zunächst einmal müssen wir wissen, wie die Faktenlage ist. Viele Praxen, Krankenhäuser, Ärzt*innen, Patient*innen, Unternehmen, aber insbesondere natürlich wir als Radiolog*innen wissen nicht, wie man an diese Informationen kommen soll. Und genau da greifen wir als Nachhaltigkeits-AG ein. Wir wollen den Status quo eruieren, interdisziplinär Lösungsansätze diskutieren und schließlich umsetzen. Und diese wollen wir über die Grenzen unseres Fachs hinaus weitertragen.
Prof. Schreyer: Wir brauchen Antworten auf Fragen, die wir uns in unserer täglichen Arbeit stellen. Etwa, ob es der Röhre schadet, wenn ich das CT jeden Abend herunterfahre. Computer, die man ein- und ausschaltet, gehen sie dadurch unter Umständen schneller kaputt? Vielleicht ist es gar nicht gut, was wir machen? Wir brauchen hier die Unterstützung der Industrie. Wir müssen einfach immer wieder fordern und darauf aufmerksam machen: Tut was! Helft uns und lasst uns hier gemeinsam vorangehen.
Dr. Palm: Ja, es gibt viele wichtige Fragestellungen beim Geräteeinsatz. Etwa, wie man zwischen den Untersuchungen die Grundspannung entweder reduzieren oder in einen effektiven Standby-Modus bringen kann, um so den Energieverbrauch zu optimieren. Tobias Heye hat eruiert, dass die energieintensive Gerätekühlung der MRTs ohne Schaden verringert werden könnte. Allerdings können bei einer derartigen eigenmächtigen Geräteoptimierung im Zweifel die gesetzlichen Garantieansprüche verfallen. Unter anderem aus diesem Grund ist hier der Diskurs mit der Industrie gefragt.
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Welche Rolle spielt der Ansatz der sogenannten „Value Based“ Radiologie bei Ihren Überlegungen zur Nachhaltigkeit in der Kommission – also der Radiologie, die den Nutzen für die Patient*innen und die Gesellschaft explizit berücksichtigt?
Dr. Palm: Die „Value Based“ Radiologie gewinnt, denke ich, zunehmend an Bedeutung. 2020 ist dazu ein Buch erschienen (Anmerk. d. Redaktion: Silva, Carlos Francisco (Hrsg.): Value-based Radiology: A Practical Approach (Medical Radiology), Springer; 1st ed. 2020). 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche wollen wir den Patient*innen das Maximum an Therapie und Diagnostik zukommen lassen. Aber wie viel davon ist letztendlich notwendig, und wie viel ist vielleicht auch einfach ein Add-on? Jede Untersuchung bindet Ressourcen. Andererseits sind eine Sicherstellung der Versorgung 365 Tage im Jahr, radiologische Screeningprogramme und die Forschung ein essenzieller Teil der modernen Hochleistungsmedizin. Um diese hohen medizinischen Standards halten zu können, sollte es deshalb unser Ziel sein, den Ressourcenverbrauch zu verringern, zum Beispiel durch eine Geräteoptimierung – und zugleich den unvermeidbaren Verbrauch im Sinne der Netto-Null-Emission auszugleichen.
Prof. Schreyer: Ich sehe das wie Sie. Wir existieren als Radiologen nur, weil wir Untersuchungen machen. Deshalb dürfen wir aber nicht unnötige Untersuchungen durchführen. Auch sind es ja nicht wir, die die Untersuchungen initiieren. Es gibt britische Publikationen dazu, die besagen, dass jedes Jahr etwa 10 Prozent mehr CTs und MRTs durchgeführt werden. Ich kenne es aus meiner eigenen Klinik. Hier waren es zuletzt 12 Prozent Steigerung in jeder Modalität. Und wir sehen alle, dass viel „Sinnlosigkeit“ dabei ist.
Nicht alle Bildgebungen wären nach den aktuellen Leitlinien indiziert, nicht alle ergeben Sinn. Welche Möglichkeiten haben Sie, hier Einfluss zu nehmen?
Prof. Schreyer: Ich fände es gut, wenn wir eine Art Stewardship in der Radiologie etablieren würden. Wenn wir den Luxus hätten, Expert*innen einzustellen, die Befunde anschauen, sie kritisch mit den Kolleg*innen diskutieren und Fragen stellen wie: „Braucht es das wirklich?“ „Welche Konsequenz hat diese Untersuchung?“. Somit könnten wir die Zahlen reduzieren.
Dr. Palm: Aber so, wie es jetzt ist, stehen wir mit einem Bein im Gefängnis, wenn wir Bildgebungen ablehnen. Ich kenne die Leitlinien. Ich weiß, dass demnach nicht zwangsläufig immer ein CT gefahren werden muss. Auf Nachfragen erhalte ich gelegentlich eine Antwort vom Zuweiser, welche darauf schließen lässt, dass diagnostische Leitfäden (zum Beispiel die Beachtung des Wells-Scores bei Verdacht auf Lungenarterienembolie) nicht berücksichtigt wurden. Aber warum haben wir eigentlich Leitlinien, wenn nicht entsprechend agiert wird?
Allerdings, wenn bestimmte Untersuchungen, insbesondere sogenannte Ausschlussdiagnostik, nicht gemacht werden und etwa eine mögliche intrakranielle Blutung bei einer demenzkranken alten Dame nicht abgeklärt wird, muss die Patientin zur neurologischen Überwachung stationär aufgenommen werden. Und das belastet dann wiederum das Gesundheitssystem. Wir befinden uns hier auf einem schmalen Grat: Natürlich, man könnte bestimmte Untersuchungen vermeiden, hat dann aber den Ressourcenverbrauch an einer anderen Stelle. Deswegen müssen wir den interdisziplinären Charakter der Medizin mehr beleuchten.
Können Sie das bitte näher erläutern?
Dr. Palm: Wir Radiolog*innen befinden uns mit den meisten Fachrichtungen stetig im Diskurs, da wir eine zentrale Schnittstelle bei der Patient*innenversorgung sind. Deswegen sehe ich unsere Position beim Thema Nachhaltigkeit im Gesundheitssystem ebenfalls als zentral an. Nicht nur bezogen auf den Energieverbrauch, sondern auch klinisch interdisziplinär. Das heißt, natürlich kann eine Klinik nicht zur Netto-Null-Emission kommen, indem unsere Geräte nachhaltig gemacht oder keine Untersuchungen mehr gefahren werden. Aber unser Ziel sollte es sein, die Nachricht des medizinisch bedingten Ressourcenverbrauchs zu transportieren. Und dann müssen wir über alle Fachdisziplinen hinweg zusammen an einem Strang ziehen, um gemeinsam eine qualitätsbasierte ressourcenorientierte Versorgung zu erbringen. Dabei muss jeder seinen Beitrag dazu leisten – im Rahmen der Ökonomie, Ökologie und sozialen Verantwortung.
Haben Sie ein Beispiel?
Prof. Schreyer: Wir haben das Thema Nachhaltigkeit im Programm des 103. Radiologenkongresses eingebracht. Dort haben wir etwa diskutiert, ob man beim Screening, sei es in der Mammadiagnostik oder bei einer Darmuntersuchung, jeden Befund abklären muss. Es gibt die deutschen Leitlinien, die schon exzellent sind. Es gibt die britischen NICE Guidelines, die in jeder Hinsicht relativ strikt sind. Im Grunde müssen wir gemeinsam darauf hinarbeiten, dass sie strenger eingehalten werden.
Dr. Palm: Wir müssen zusammen klein anfangen. So wurden im Projekt KLIK green, Krankenhaus trifft Klimaschutz) vom Bund Mitarbeiter*innen von Kliniken zu Klima-Manager*innen ausgebildet. Sie erlernten Maßnahmen, um klimaschädliche Emissionen der Kliniken zu reduzieren und kehrten dann als Abgesandte und Multiplikator*innen in ihre Einrichtungen zurück. Hier zeigten Studien, dass 30 Prozent der energiesparenden Maßnahmen nichts kosten, wie etwa abends das Licht auszuschalten. 40 Prozent erfordern lediglich geringe Investitionen, etwa Zeitschalter. Und diese 70 Prozent der Maßnahmen führen bereits zu einer Reduktion der Emissionen um 40 Prozent! Die letzten 30 Prozent sind dann stark investive Maßnahmen, etwa Sanierungen, Umbaumaßnahmen, Umstellung auf nachhaltige Energien.
Wir haben vorhin auch schon unseren Zehn-Punkte-Plan für die DRG erwähnt, der weit über das klinische Setting hinausgeht. Darin thematisieren wir einen umweltschonenden Umgang mit Dienstreisen beziehungsweise deren weitestmöglichen Ersatz durch Online-Veranstaltungen. Wir schlagen papierlose Büros und Konferenzen vor. Auch unser Fachgesellschafts-Organ, die RöFo, kann wahlweise digital bezogen werden. Beim Catering möchten wir saisonale und regionale Kost bevorzugen und Einmalprodukte meiden. Auf der Agenda stehen auch die nachhaltige Beschaffung von Geräten, die Wiederverwendung von Materialien, das bevorzugte Nutzen nachhaltiger Werkstoffe und natürlich, wie gesagt, ein umfassender Blick auf die Thematik.
Wie passen Ihre Maßnahmen zu den wirtschaftlichen Zielen der Kliniken? Die müssen vermutlich versuchen, möglichst wenig Geld auszugeben und preiswert einzukaufen, um in den aktuellen Bilanzen gute Zahlen schreiben zu können. Die Nachhaltigkeit wiederum, die zahlt sich ja oft erst Jahre später aus.
Prof. Schreyer: Hier ist die Politik gefragt: Klimaschutz muss ein Ziel von Kliniken und Verwaltungen werden. Da wird kein Weg daran vorbei gehen.
Dr. Palm: Die Ziele, die wir haben, sind nicht verhandelbar. Letztendlich ist klar, dass wir alle klimaneutral werden müssen: Jedes Unternehmen muss klimaneutral werden, jede Klinik muss klimaneutral werden. Dazu gibt es keine Alternative. Und ohne die Förderung durch die Politik ist das ohnehin schon strapazierte Gesundheitssystem mit dieser Aufgabe überfordert. Das heißt Industrie, Politik und auch das Gesundheitswesen, die Kliniken, müssen hier zusammenarbeiten, um für diese Ziele einen gemeinsamen Lösungsweg zu finden.
Bei der Nachhaltigkeit geht es letztendlich auch um eine breitere Öffentlichkeit, eine allgemeine Awareness. Ist denn in diesem Zusammenhang angedacht, auch die Patient*innen beim Energiesparen in der Radiologie einzubeziehen? Sollten Sie etwa erfahren, wie groß der CO2-Fußbbdruck ihrer aktuellen MRT-Untersuchung ist?
Prof. Schreyer: Ich finde: Nein. Denn im Grunde würden wir damit bei einer Untersuchung, die wir für medizinisch sinnvoll halten, die Patient*innen unnötig verunsichern. Es sollte eigentlich unsere Aufgabe sein, uns Gedanken über die Notwendigkeit der Untersuchung zu machen und den Patient*innen zu helfen. Was soll er damit anfangen, wenn wir ihm sagen „Du musst jetzt eine Untersuchung machen, die aber schlecht für die Umwelt ist“?
Sie reden jetzt von den notwendigen, den medizinisch indizierten Untersuchungen. Aber was ist etwa mit MRT-Screenings, die sich etwa Privatzahler wünschen, um sicher zu sein, dass alles in Ordnung ist?
Dr. Palm: Ich denke, das ist eine schwierige Frage. Denn letztendlich spielt sie sich auf 2 verschiedenen Ebenen ab. Zum einen kommen hier die persönlichen Bedürfnisse der Patient*innen zum Tragen. Sie möchten natürlich so gesund wie möglich bleiben und nehmen deshalb zum Beispiel Screeninguntersuchungen in Anspruch. Und das betrifft jeden, das eigene Leben. Und die andere Frage ist, welche Folgen das für die Umwelt hat.
Hier kommt die Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft ins Spiel. Und das ist ein schmaler Grat. Auf wie viel meines Wohls bin ich bereit zu verzichten für das Wohlergehen aller? In jedem Fall sehe ich unsere Aufgabe weniger in der Frage nach der Reduktion der Untersuchungszahlen, sondern primär darin, die Emissionen, zum Beispiel durch die Optimierung der Geräte oder Workflows, zu verringern. Und all das, was wir nicht auf null reduzieren können, sollten wir ausgleichen oder mit erneuerbaren Energien betreiben.
Das ist sicherlich nicht immer einfach für Sie?
Dr. Palm: Wir müssen bei all diesen Vorhaben unseren Patient*innen auch weiterhin eine maximale Versorgung bieten. Denn letztendlich leben wir heute so lang und oft auch gesund, weil es diese medizinische Maximalversorgung gibt und weil die medizinische Forschung vorangetrieben wird. Für uns Ärzt*innen sollte die bestmögliche medizinische Versorgung weiterhin unsere oberste Prämisse bleiben – das schließt die Klimaneutralität ja nicht aus.
Sehen Sie einen Interessenkonflikt darin, dass die Radiologie letztendlich davon lebt, Bildgebung zu machen und andererseits unnötige Bildgebung einsparen möchte?
Prof. Schreyer: Nachdem die Zahlen jährlich steigen, steht das momentan nicht im Fokus. Wir können ohnehin die Anforderungen nicht bedienen. Ich glaube eher, dass wir, wenn wir uns gesundschrumpfen würden, bessere Qualität liefern könnten. Also ich sehe keinen generellen Interessenkonflikt. Es ist ein Randproblem, sicherlich, aber kein allzu großes Problem.
Dr. Palm: Ich denke, dass die Art und Weise, wie die Radiologie vergütet wird, problematisch ist. Hier geht es nicht um die Qualität, etwa die Anzahl der MRT-Sequenzen, die gemacht werden. Vielmehr zählt die Anzahl der Untersuchungen beziehungsweise die Anzahl an Patient*innen. Das hat leider auch zur Folge, dass bestimmte Untersuchungen, die viel Zeit beanspruchen, von ökonomieorientierten Praxen häufig abgelehnt werden, wie etwa eine Ganzkörperuntersuchung bei Patient*innen mit multiplem Myelom. Eine qualitätsbasierte Vergütung würde die Zahl der Untersuchungen möglicherweise sinken lassen. Und dann würde vielleicht auch mehr Value Based untersucht werden.
Gibt es Best Practice-Beispiele in Bezug auf Nachhaltigkeit, die Sie überzeugen?
Prof. Schreyer: Mich hat Tobias Heye aus Basel inspiriert. Er hat an seiner Uni zum Thema energieeffizientere MRT- und CT-Techniken die Initiative ergriffen, den Status quo erhoben und dann den nächsten Schritt gemacht. Dafür hat er mit der Gebäudetechnik zusammengearbeitet und Wärme, Technik und Klimatechnik wurden optimiert. Das finde ich vorbildlich. Das ist genau das, was wir als Gruppe eigentlich machen wollen. Im nächsten Schritt würde ich mir das auch für unsere Kliniken wünschen.
Wenn Sie sich jetzt selbst auf einer Skala von 1 bis 10 verorten würden, was das Erreichen der Klimaziele bis 2045 anbelangt, wo stehen Sie momentan? Hoffnungslos, das wäre eine 1 und hoffnungsvoll, 10.
Prof. Schreyer: Ich bin ein unglaublicher Optimist und würde mich auf etwa 8 bis 9 einstufen. Bis 2045 ist genug Zeit. Selbst wir haben an unserem Klinikum jetzt einen Gebäudetechniker nur für Nachhaltigkeit. Die Maßnahmen müssen jedoch jetzt verankert, die Forderung des 126. Deutschen Ärztetages (Anmerk. d. Redaktion: 24. bis 27.5.2022 in Bremen, Reduktion von CO2-Emissionen in der Patientenversorgung wurden angemahnt) umgesetzt werden.
Dr. Palm: Wir müssen beim Tempo auf jeden Fall anziehen. Das zeigen ja auch die weltweiten Klimadaten. Ich sehe es noch kritisch aufgrund des bisherigen Verlaufs. Von 2020 bis 2021 haben wir weltweit nochmal 2 Milliarden an CO2-Emissionen zugelegt – anstatt dass wir hier heruntergegangen sind. Das heißt, ja, ich persönlich bin auch optimistisch, würde mich vielleicht bei einer 7 einstufen. Aber wir müssen jetzt beim Energieverbrauch wirklich auf die Bremse treten.
Vielen Dank Ihnen beiden für das Gespräch, Frau Dr. Palm und Herr Professor Schreyer.